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Marokko – E-Biken im Hohen Atlas

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Eine Multimedia-Geschichte von Stefan Weißenborn


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»Das ist die Zukunft!« Mustapha Belhimer sitzt vorn im Kleinbus und spricht mit kräftiger Stimme. Das Mikro ist kaputt, also muss der staatlich legitimierte Guide seine Ansagen unter voller Auslastung der Stimmbänder und seines Gestenrepertoires nach hinten durchreichen.

Draußen ziehen flache Neubauten in Sandfarben vorbei, Straßen sind frisch asphaltiert. »Hier entsteht ein Speckgürtel«, sagt Mustapha. Marrakesch sei teuer geworden, vor allem seit viele der Riads restauriert seien und der Tourismus nach dem Terroranschlag von 2011 wieder boome. Doch Marrakesch ist nur der Ausgangspunkt dieser Reise, die vom Trubel der Stadt in die Stille des Hohen Atlas führt. Wobei uns das Surren des E-Motors immer begleiten wird. 


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»Die Strecke Marrakesch nach Ouarzazate, die RN9, ist eine der gefährlichsten Straßen Marokkos«, sagt Mustapha. Nicht unbedingt hier schon sollen die Radreisenden ihrem Schicksal überlassen werden.

Die pittoresk durch durchs Gebirge führende Straße wird gerade ausgebaut, eine Baustelle folgt der nächsten, Berge werden versetzt, da Tunnel zu teuer seien. Fliegende Händler nutzen die Zwangspausen im Stau, um den Reisenden ihre gefärbten Mineralien anzudrehen, von denen sie behaupten, sie kämen so aus der Erde. Die in Plastiktüten verpackten Walnüsse wirken dagegen echt.


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Nach knapp vier Stunden Fahrt erreicht der Bus die Kleinstadt Telouet, wo auf's E-Bike umgesattelt wird. Wir sind angekommen im Hohen Atlas, das Gebirge mit den höchsten nordafrikanischen Bergen, die sich auf bis zu fast 4200 Meter in den meist tiefblauen Himmel erheben.

Bekannt ist die Stadt vor allem wegen des gleichnamigen alten Festungsstützpunkts, dem heute in sich zusammen fallenden Kasbah von Telouet.

Hier kassierte der Berberfürst und Pascha Thami El Glaoui bei den Karawanen einst Wegzölle und auch Schutzgelder, bot als Gegenleistung wohl immerhin Unterschlupf.

Das Innere das äußerlich tristen Baus aus dem beginnenden 20. Jahrhundert erweist sich als zwar genauso morbide, aber auch prunkvoll ornamentiert.

Mehr als 500 solcher vor sich hin gammelnder Kasbahs gebe es im ganzen Land. »Sie brauchen Retter«, klagt Mustapha.


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Von den Reisenden unbemerkt hat am Straßenrand ein weiterer Kleinbus gehalten, von dem die Mitarbeiter eines Fahrradverleihs die E-Bikes abladen. Vorderräder werden montiert, Sättel justiert, Satteltaschen eingehängt.

Einer der Männer holt eine abgewetzte Sporttasche aus dem Van, die aussieht wie aus »Death Wish« mit Charles Bronson, nicht etwa aber einen Kanonenwerfer, sondern nur das Futter der Elektro-Drahtesel enthält: die Akkus, je 400 Wattstunden stark.


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Felix Willeke vom Reiseveranstalter Belvelo erklärt die Technik.

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Durch die alpinen Regionen des südlichen Marokko zu fahren hatte schon im Bus etwas Bezauberndes. Doch auf dem Fahrrad geht man auf Tuchfühlung. Sobald wir die berüchtigte RN9 verlassen, sind wir angekommen. Alles ist anders. Die Bergluft ist rein, trocken und bestens temperiert für den, der im Herbst oder Frühjahr kommt.

Selbst auf 1.300 Metern gedeihen noch Kakteen oder Walnussbäume. Die roten und kargen Berge sind mit jahrhundertealte knorrigen Wacholderbüschen betupft. Hier und da schlängeln sich in den Niederungen grüne Bänder entlang der Bewässerungssysteme, die von großen Regen- und Schmelzwasserreservoirs gespeist werden und stundenweise die Bevölkerung zahlungspflichtig versorgen.


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Es wird das wahr, was Reisende als „authentisch“ lieben, aber doch nur eine Illusion ist – oder der Unterschied von Stadt und Land, von geplantem Geschäft und eher zufälligem Handel, von Magreb und Westeuropa, von urbaner Betriebsamkeit und provinzieller Gemächlichkeit, die es auch in Marokko gibt.

Alte Männer mit pergamentener Gesichtshaut und aufmerksamen Augen harren in den Bergdörfern bewegungslos wie Statuen aus Sandstein auf Eseln aus, als hätten sie den Rücken eines Zwanzigjährigen. Kinder brechen regelmäßig in Jubel aus, wollen mit den elektrifizierten Pedalrittern im Vorübersurren einschlagen und nehmen den Sprint auf, um gegen den E-Turbo unerwartet schnell den Kürzeren zu ziehen.


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Nur in der Nähe der Dörfer duftet es würziger, nach lokaler, in spitzhütigen Tajine-Steintöpfen gegarten Hühnchen- oder Lammhackgerichten, die manches Restaurant für Besucher zubereitet und dazu traditionell vielfach gewaschenen und abwechselnd gekochten und dadurch besonders fluffigen Cous-Cous serviert.

Fast ist es so, dass man die Siedlungen wie etwa das Dorf Anguelz, die sich mit ihren sandfarbenen Lehmbauten ihrer Umgebung chamäleonartig anpassen, zunächst riecht, statt sie zu sehen.


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Berge von Zitrusfrüchten oder Granatäpfeln werden auf Märkten aus den Ladepritschen der Autos verkauft, gehäutete Ziegen werden feilgeboten oder ganze Rinderköpfe mit noch allem drum und dran.
 
Und zwischendurch sitzen wir immer mal wieder im Bus. Denn mit dem Rad durchs Gebirge zu fahren, das ist auf dieser Reise wie, sich die Rosinen heraus zu picken: Gefahren wird nur dort, wo keine Gefahren im Verkehr drohen und es landschaftlich am schönsten ist.


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Dass sich mit dem E-Bike auch Normalsterbliche bizarre und wunderschöne Gebirgslandschaften mit durchaus heftigen Steigungen erschließen könnten – darin liegt die Magie dieser Reiseform.

Über Serpentinen und Senken geht es hoch und immer höher, ohne Motorkraft hätten wir Höhenmeter um Höhenmeter bis zur nächsten Passhöhe mal eben nicht in einer halben Stunde bewältigt. Ohne eingebauten Rückenwind würden sich solche Etappen wohl nur im Programm einer ausgewiesenen Sportreise für trainierte Cracks wiederfinden. 
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Als sich die Sonne senkt und die Landschaft röter als rot färbt, die Berge wie riesige Teigmassen glimmen, als hätte man sie gerade aus dem Hochofen gezogen, erreicht die Gruppe nach 43,8 Kilometern, 479 Höhenmetern und gut zweieinhalb Stunden reiner Fahrtzeit den „Riad Ksa Ighnda“.

Es ist ein Palast von einem Hotel mit Palmen und Pool im Hof, das im krassen Gegensatz zu den umgebenden, eher ärmlichen Behausungen steht und von amerikanischen Touristen auf der Suche nach dem „1001-Nacht-Feeling“ bevölkert ist.



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Ein bisschen steckt mir das Radeln, wenn auch unter Strom, schon in den Beinen. Ich entscheide mich für einen Gang in den Hamam. Der Herr an der Rezeption trägt mich für 19.30 Uhr in den Plan ein. Doch irgendetwas läuft schief. Als ich mich zum Termin einfinde, hat die Spa-Abteilung geschlossen. So bleibt Zeit zum Abendessen. Dass diesmal ein Büffet aufgetischt wird, ist wohl den Vorlieben der Gäste aus Amerika geschuldet.

Während wir es uns schmecken lassen, glimmen die Leuchtdioden an den Akkus unserer Pedelecs irgendwo im Riad. Mohammed, der zweite Guide, der uns begleitet, hat sie im Hotel eingestöpselt. 



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Im Morgengrauen kräht der Hahn mit den Muezzin-Rufen um die Wette. Und es wird wieder aufgesattelt. Die Luft ist noch frisch von der Nacht, aber kaum eine Wolke zeigt sich. Die Stimmung in der Gruppe ist gut – die teils frisch gebackenen E-Biker haben sich an ihre Vehikel gewöhnt.

Die erste Etappe des Tages ist kurz, sogar zu kurz für manchen Reiseteilnehmer, der auf den Geschmack gekommen ist: Schon nach 21 Kilometern lockerer Fahrt über eine eher breite, aber ebenso unbefahrene Straße naht das kulturelle Highlight der E-Bike-Reise: die Festungsstadt oder Ksar Aït-Ben-Haddou, seit 1987 Unesco-Weltkulturerbe. 
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Die Ansammlung von 48 Häusern sind laut Mustapha „um die 500 Jahre alt“, waren mal dem Zerfall überlassen, doch dann kam Hollywood und produzierte Filme. Als die alte Berbersiedlung Ende der Siebziger als Filmkulisse für „Jesus von Nazareth“ diente, war Geld für eine Restaurierung da.

Da wohnten kaum noch Menschen in der Ruine, aus der seit der Unabghängigkeit Marokkos im Jahr 1956 die Bewohner in das neu gegründete Dorf jenseits des manchmal wasserführenden Flusses Asif Mellah abwanderten. 


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„Es leben hier noch 12 Familien“, behauptet Mustapha und deutet auf eine alte Frau, die gerade einen Esel durch eine der Gassen führt: „Sie lebt wie vor 1000 Jahren.“

Tatsächlich waren die Berber weit bis uns vergangene Jahrhundert Selbstversorger. Ganz anders heute: Tagsüber flankieren die Gassen und Steinmauern die Souvenierhändler.

Von Kunsthandwerk und über hunderte von Kilometern heran gekarrte Mineralien bis zu Filmdevotionalien bekommt man alles, was man nicht zum Leben braucht, aber das der anderen finanziert.
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Eine Etappe im Kleinbus mit arabischer Oud-Musik vom USB-Stick führt uns über die Passhöhe Col de Tichka (2260 Meter), wo wir einen kurzen Stopp einlegen.

Es ist neben dem Ksar einer der touristischsten Orte der ganzen E-Bike-Tour. Kaum möglich, sich die Auslagen an Tajine-Töpfen, Mineralien oder Argan-Öl-Produkten in Ruhe anzusehen, ohne von Händlern bedrängt zu werden.

Dann dürfen die E-Räder wieder vom Hänger und die Pedaltreter auf den Sattel. Es folgt der sportliche Teil der Tour, der zeigt, dass man auch auf einem E-Bike ins Schwitzen kommen kann und diese Art der Fortbewegung ihr Rentner-Image zu unrecht besitzt.

 


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Es geht der Sonne entgegen, und der Schweiß fließt – trotz Turbo-Ünterstützung des Mittelmotors zwischen unseren Füßen. Gegenverkehr haben wir auch auf dieser Etappe keinen, denke ich. Doch da taucht hinter der nächsten Kurve ein Mann mit einem Esel im Schlepptau auf, den wir fast über den Haufen surren.

Als wir über etliche Kilometer im weißlichen Gegenlicht der Spätnachmittagsonne ins Tal von Tigdouine hinabrollen, bekommen wir die volle Belohnung.

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Orangenplantagen in der Ferne des Tals, nackte Bergrücken als Passepartout, die sich bald dunkel färben. Als die Sonne hinter der Kuppe verschwindet, ist nur noch die Spitze eines Minaretts illuminiert.

Im Örtchen Tigdouine ist der Akku nach 40 Tageskilometern noch zu einem Drittel voll, wie die Segmente auf dem Display am Lenker anzeigen. Und obwohl auch unsere Waden noch nicht übersäuert sind, wartet schon der Bus.
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Wie zum Abschied fährt ein alter Land Rover Defender vor. Auf dem Dach sitzen vielleicht  Kinder. Sie winken, als sich die eigenartige Karawana aus Weißgesichtern und High-Tech-Rädern im Schlepptau auf dem Hänger hinterm Bus auf den Rückweg nach Marrakesch macht.
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Die beschriebene zweitägige Tour ist ein Abschnitt einer zehntägigen E-Bike-Reise in Marokko, die man beim Veranstalter Belvelo ab 1690 Euro pro Person buchen kann. Angeboten wird sie im Frühjahr und Herbst, da es im Sommer selbst im Hohen Atlas zu heiß wird. Deutsche Staatsbürger benötigen einen Reisepass, der bei der Einreise noch mindestens sechs Monate gültig ist.

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